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Auf dem Tallinner Neuen Markt wurde der Opfer des Blutbades gedacht
29.10.2000

Präsident Lennart Meri legte heute einen Kranz auf dem Tallinner Neuen Markt am Denkmal der Opfer des Blutbades vom 29. Oktober 1905 nieder. Diese Tallinner Bürger sind während der friedlichen Demonstration für den Schutz der Bürgerfreiheiten und gegen die russische Autokratie ums Leben gekommen. Unter den Schüssen der Zarenarmee kamen 94 Menschen ums Leben, mehr als 200 wurden verwundet, vier Tage später beteiligten sich 40.000 Leute an der Demonstration auf dem Begräbnis der Opfer.

Vor den Versammelten sprach Schriftsteller Jaan Kross, der sagte:

''Sehr geehrte Zuhörer!

Hier, am Rande des Tallinner Neuen Marktes, ist ein solcher Ort, und heute ist ein solcher Augenblick, dass demjenigen, der jetzt hier sehr aufmerksam zuhört, noch die Stimmen vor fünfundneunzig Jahren in die Ohren kommen: dort, auf dem damaligen Platz noch ohne Theatergebäude - das Atmen der großen Menschenmenge. Und inmitten dieser Menge - die Stimme des Sprechers, der auf ein Fass gestiegen ist. Vielleicht Marta Lepa - die Mädchenstimme der jungen revolutionären Schreiberin. Vielleicht spricht sie über die Gedankenfreiheit. Weil neben allen praktischen Kampffragen auch solche Frage in diesen Tagen auf diesen Versammlungen berührt wurde. Und dann - im Hintergrund die Kinderstimme der Sprecherin - der klanglose und schreckliche Befehl von Kapitän Mironov: die Gewehre entsichern! Diesen Befehl haben wahrscheinlich sowohl Generalgouverneur Lopuhhin als auch General Voronov gutgeheißen. Und dann das Klappern der Gewehrschlösser und gleich das Prasseln der Geschosse. Das Geschrei der Menschenmenge. Das Geschrei des Schreckens, der Entrüstung, des Protestes. Die Leute beginnen am Rande der Menge wegzulaufen und in der Mitte der Menge mit dem Gesicht auf die Kopfsteine zu fallen.

Die Zahl der Gestorbenen war nach verschiedenen Angaben von 60 bis 94. Die Zahl der Verwundeten war etwa 200. Übrigens, wir sind wahrscheinlich gewohnt, uns die Tallinner Arbeiterklasse aufgrund der etwas späteren Zeit, der Jahre vor dem Ersten Weltkrieg oder auch der Folgejahre des Zweiten Weltkrieges den Nationalitäten nach bunter vorzustellen als es noch im Jahre 1905 war. Aus der alten Liste der auf dem Neuen Markt Gefallenen ist ersichtlich, dass von den Gestorbenen 8 nicht identifiziert worden sind, und unter den Identifizierten, nach den Namen zu beurteilen, zwei Russen, ein Jude, vielleicht ein Deutscher und 50 Esten waren. So handelt es sich hier auf einer Weise doch um ein zutiefst nationales Ereignis. Das zeigte auch die 40.000-köpfige Demonstration auf dem Begräbnis der Opfer vier Tage später.

Auf jeden Fall: hier fand vor 95 Jahren ein Ereignis statt, mit dem Zarenrussland Estland die Erfahrung und den Abstoß gegeben hat, der unsere Einstellungen mindestens in folgenden Dutzend Jahren entscheidend geformt hat. Bis zum Jahre 1917. Bis dahin, wenn die Idee des eigenen estnischen Staates genau hier in der Nähe, unter dem Dach des inzwischen gebauten „Estonia“ - Gebäudes, ausgesprochen wurde.

Deswegen können wir bezeugen: diejenigen, die hier vor 95 Jahren umgekommen sind, waren in dieser Zeit das Herzstück des menschlichen Gerechtigkeits- und Rechtverlangens des estnischen Volkes. Und als dieses Herzstück werden wir seiner auch immer gedenken. Aber aus der heutigen Perspektive, für den Blick des heutigen Vergangenheitsbetrachters waren sie auch noch etwas anderes. Ohne, dass sie es selbst erahnt hätten, waren sie alle eine Vortruppe der Opfer des Kampfes für estnische staatliche Selbständigkeit, eine so frühe Vortruppe, dass sie mit diesem Kampf erst locker verbunden waren, aber doch unnahbar einen Teil dieses bildeten.

Und für dieses Verdienst, in Ehre und Würde - gedenken wir ihrer heute und in der Zukunft zwei Mal mehr.''

Am Denkmal haben Siiri Oviir und Tunne Kelam den Kranz von Riigikogu, Premierminister Mart Laar den Kranz der Republik niedergelegt. Weitere Kränze stammten von dem Tallinner diplomatischen Korps, der Stadt Tallinn, dem Estnischen Verein zur Denkmalpflege. Am Fuße des Denkmals blieben der Kranz des Erzbischofs der Estnischen Evangelischen Lutherischen Kirche Jaan Kiivit, des Ökumenischen Patriarchen Bartholomeos, der sich auf dem Besuch in Estland befindet, und der Estnischen Apostolischen Orthodoxen Kirche, des Russischen Vereins zur Denkmalpflege, des Estonia-Vereins, des Konstantin-Päts-Museums, des Johann-Laidoner-Vereins, der Partei Vaterland, der Estnischen Zentrumspartei, der Estnischen Sozialdemokratischen Arbeitspartei, der Partei Moderaten, der Vereinigung zur Denkmalpflege von Riigikogu und des Estnischen Schutzbundes. Auf der Zeremonie spielte das Orchester des estnischen Grenzschutzes.

Die Ehrengarde der estnischen Streitkräfte aus dem Einzel-Wachbataillon hält auf dem Tallinner Neuen Markt bis zum Sonnenuntergang Ehrenwache. Auf dem Friedhof Rahumäe, wo sich das erste Denkmal den Opfern des Blutbades im Jahre 1905 zu Ehren und die Gräber der Opfer befinden, zündete der Estnische Verein zur Denkmalpflege Gedenkerzen.


Pressedienst des Präsidialamtes
Katharinental, den 29. Oktober 2000

 

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