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Staatspräsident Lennart Meri im Haus der Industrie auf Einladung der Österreichischen Gesellschaft für Aussenpolitik und der Österreichischen Industriellenvereinigung
13.10.1997

Estland auf dem Weg in die Europäische Union


Sehr geehrter Herr Altbundespräsident,
Sehr geehrter Herr Präsident,
Sehr geehrter Herr Vizepräsident,
Exzellenzen,
Meine Damen und Herren!

Gestatten Sie, dass ich gleich am Anfang meinen aufrichtigen Dank für die Einladung der Österreichischen Gesellschaft für Aussenpolitik und der Österreichischen Industriellenvereinigung ausspreche.

Es ist mir eine besondere Ehre, meine Damen und Herren, hier in der Bundeshauptstadt, der EU-Politik-, UNO- und Kulturmetropole Wien Gedanken über Estlands Weg in die Europäische Union darstellen zu dürfen.

Wir haben uns hier versammelt in einer Zeit, in der der Vertrag von Amsterdam zwar unterschrieben, jedoch nicht ratifiziert ist. Die existentielle Umbruchsphase in der Europäischen Union, in ganz Europa, ist so augenscheinlich, dass man sich an die Beitrittskandidaten wendet mit der Frage: ''Und wie soll die Europäische Union entsprechend ihrem Wunsch gestaltet werden?''.

Ich möchte heute zwei Probleme behandeln. Erstens, die Europäische Union in kürzerer und längerer estnischer Perspektive; zweitens: Estland als ein künftiges Mitglied der EU.

Nach dem Gipfeltreffen in Amsterdam und Madrid im Sommer diesen Jahres werden von uns die EU- und die NATO-Erweiterung als parallele Prozesse angesehen.

Estland hat wiederholt seine Zufriedenheit über die am 8. Juli 1997 in der Euro- Atlantische Deklaration angenommenen Punkte über die Fragen der Sicherheit und Zusammenarbeit zum Ausdruck gebracht. Beim Anschluss an die NATO geht Estland von den Prinzipien einer pragmatischen Aussenpolitik aus. Wenn Estland also nicht in die erste NATO-Erweiterungsrunde aufgenommen werden kann, richten wir unsere Anstrengungen auf die Integration in die EU. Jedoch wird der Prozess Richtung NATO weitergeführt.

Was die EU angeht, muss zunächst selbstverständlich festgestellt werden, dass Estland den Beschluss der Kommission der Europäischen Union unterstützt und es begrüsst, wenn Beitrittsverhandlungen mit Estland, Zypern, Polen, Slowenien, Tschechien und Ungarn vorgeschlagt werden. Estland betonte während der gesamten Vorarbeit, wie wichtig es ist, die Kopenhagener Kriterien beim Zusammenfügen des avis sowie bei den daraus resultierenden Ergebnissen einzuhalten. Nachdem die Agenda 2000 gründlich analysiert wurde, vertritt Estland den Standpunkt, dass der avis jedem der Beitrittskandidaten eine vollständige, professionelle und objektive Bewertung über ihre politische und wirtschaftliche Lage gegeben hat.

Nach dem Zusammenbruch des kommunistischen Imperiums sind über die mittel- und osteuropäischen Staaten hunderte von Analysen erstellt worden. Keine von ihnen ist jedoch so umfassend wie die Analyse der Kommission. Sie umfasst den Raum zwischen Reval (Tallinn) und Laibach (Lubljana), also die Hälfte des europäischen Festlandes. Es ist die übersichtlichste Analyse über mittel- und osteuropäische Staaten seit dem Kalten Krieg. Im Leben eines Wissenschaftlers würde eine so gute Zusammenfassung eine wissenschaftliche Auszeichnung nach sich ziehen. Die Kommission hat zumindest eine Gratulation verdient. Der zweite Schritt - das sind Folgerungen, der dritte - ihre Realisierung. Aber das sollte bereits mit gemeinsamen Kräften geschehen.

Estland und das estnische Volk stehen auf dem Standpunkt, dass die zusammenfassende Empfehlung der Kommission, mit Estland Beitrittsverhandlungen zu beginnen, eine Anerkennung für die Reformen darstellt, die seit 1991 im Namen der Integration mit Europa verwirklicht wurden. Gleichzeitig wird dies als eine Ermunterung empfunden diese Reformen fortzusetzen. Uns ermutigt aber auch das, was auf den 100 Seiten der Einleitung geschrieben steht. Unserer Ansicht nach handelt es sich hier um eine präziese und professionell zusammengestellte Übersicht von der Lage in Estland.

Wir sind zuversichtlich, dass der Inhalt des avis, sowie die sich daraus ergebenen Schlussfolgerungen allen EU Mitgliedstaaten eine überzeugende Basis bieten, auf Grund deren die endgültige Entscheidung auf dem Luxemburger EU-Gipfeltreffen im Dezember getroffen werden kann. Dies sollte auch das Startszeichen der Beginn der Beitrittsverhandlungen sein.

Als Beitrittskandidat verfolgen wir die Debatte über die Erweiterungverhandlungen mit besonderer Aufmerksamkeit. Wie dieser Prozess sich entfaltet, ist für einen kleinen Staat wie Estland von höchster Wichtigkeit.

Estland weiss daher sehr wohl die ausgewogene Position Österreichs bei der EU-internen Debatte zu schätzen. Unserer Ansichts nach ist dies eine Position, die sich mit den Interessen grosser und kleiner, sowie auch alter und neuer EU Mitgliedstaaten vereinbaren lässt.

Es sieht so aus, als ob es allen klar ist, dass es in einem bestimmten Stadium der Verhandlungen unumgänglich ist, eine Differenzierung unter den Anwärtern vorzunehmen. Es ist jedoch nicht einfach, Masstäbe zu setzen, die feststellen sollen, inwieweit sich die Anwärter voneinander unterscheiden. Aus den Ansichten der EU-Kommission lässt sich aber mit Sicherheit entnehmen, dass nicht alle Beitrittskandidaten den gleichen Weg der Reformen gewählt oder sie mit der gleichen Geschwindigkeit durchgeführt haben. Das beweist, dass die Wahl individuell, nicht einheitlich oder automatisch für die mittel- und osteuropäischen Länder ausgefallen ist. Ebenso sind die Beitrittsverhandlungen der Europäischen Union niemals einheitlich oder automatisch gewesen. Ich möchte hier ein Gleichnis anführen, welches Bundeskanzler Helmut Kohl erwähnte: Die Mitgliedschaft in der Europäischen Union muss passen wie ein Massanzug und nicht wie eine Massenware von der Stange.

Eine individuelle Annäherung ist ein unabänderlicher Erweiterungsprozess. Ebenso wichtig ist es aber auch, den fortlaufenden Charakter der Erweiterung zu sichern. Die Meinungen der Kommission bedeuten keineswegs einen Endpunkt, sie stellen vielmehr eine Leitlinie des Integrierungsprozesses dar. Die Agenda 2000 sieht einen Mechanismus der Unterstützung und Anbindung an den Prozess für jene Staaten vor, die nicht in die erste Gruppe aufgenommen wurden. Estland unterstützt kräftig die Anstrengungen beim Aufbau der Glaubhaftigkeit dieses Mechanismus, damit die Beitrittsanwärter jährlich bei ihrer Prüfung die Meinung der Kommission aktualisieren können. Estland unterstützt auch die Ausarbeitung des vorhandenen Arbeitspanes zur Integration.

Ja, wir sehen ebenso die Vorteile der Idee eines gemeinsamen Startes, denn selbstverständlich hat die Entscheidung der Kommisssion auch Frustration mit sich gebracht. Leider wurden die Bedeutung und der konkrete Mechanismus des gemeinsamen Startes für verschiedene Beitrittsanwärter im vergangenen Zeitraum nicht geklärt. Das Ausmass der Frustration über den diffusen und sich hinziehenden Erweiterungsprozess unter den Anwärtern sowie den Mitgliedstaaten könnte aber niemand messen. Daher sehen wir auch Gefahren, die das schematische Aufdrängen des gemeinsamen Startes entgegen der Logik des Vorschlages der Kommission mit sich bringen könnte.

Gleichzeitig ist es uns klar, dass es zum Beispiel im Interesse Estlands selbst liegt, wenn die beiden anderen Staaten des Baltikums in die Beitrittsverhandlungen schnell einbezogen werden, sowie es wahrscheinlich auch in Ungarns Interesse liegt, dass Rumänien aufgenommen wird. Wenn die Kriterien erfüllt sind, müssten alle Beitrittskandidaten ohne Verzögerung aufgenommen werden. Aus diesem Grunde ist die Gewährleistung des Mechanismus des review für uns schon heute von grosser Bedeutung.

Vor uns steht der politische Beschluss der Mitgliedstaaten. Vom Luxembourger Gipfeltreffen erwartet man eine klare Stellungsnahme, auf welcher Weise der Erweiterungsprozess sich in den nächsten Jahren entwickeln wird. Das bedeutet: die Folgerungen müssen formuliert werden, indem man die Prognose des Ausgangs im Auge behält. In der Wissenschaft würde man für diese Analyse einen Doktortitel erhalten.

Für Estland bedeutet die Meinung der EU-Kommission eine komplexe Erscheinung. Wir glauben nicht, dass es möglich ist, die Objektivität über das Methodische zu stellen und gleichzeitig nach Argumenten zu suchen, um sich nicht mit den 5 plus 1 Folgerungen der Kommission einverstanden zu erklären.

Ich möchte betonen, dass die estnische Regierung den avis als eine Arbeitsaufgabe auffasst. Wir haben die 100 Seiten, die als Basis für den Vorschlag der EU-Kommission dienten, aufmerksam durchgelesen und uns so manches gemerkt. Natürlich könnte man auch einige Fakten durch neuere und einige Zahlen durch höhere ersetzen. Jedoch wichtiger als dies ist es, die vor uns stehenden Aufgaben zu formulieren. Die Agenda 2000 ist gründlich analysiert worden und man hat bereits begonnen, einen Detailplan für jene Bereiche auszuarbeiten, die unsere besondere Aufmerksamkeit vor der Integration erfordern. Jedes Ministerium in Estland beachtet die Meinung der EU-Kommission zur Bestimmung seiner Prioritäten und weiterer Schritte (sowie ihre Reihenfolge).

Ein weiteres Anliegen von uns, und das unabhängig von unseren Bemühungen im Integrationsprozess, betrifft das Tempo der Naturalisierung der Ausländer. Dieser Mechanismus wird noch einmal analysiert, ausgehend von den Empfehlungen der EU - Kommission. Der Hohe Kommissar für Nationale Minderheiten, Max van der Stoel, ist ein häufiger Gast in Estland und wir sind immer mit grosser Aufmerksamkeit seinen Empfehlungen gefolgt, so dass aus der langen Liste beinahe alle Empfehlungen bereits erfüllt sind. Als einer der letzten Schritte können wir die Vereinfachung der Staatsbürgerschaftsprüfung anführen sowie die Genehmigung des ständigen Aufenthaltes für Ausländer gesetzlich machen. Gleichzeitig haben wir die Hoffnung, dass die Empfehlung der EU - Kommission und die Perspektive zur Integration mit der EU das Interesse der Nicht- Esten an der Naturalisation in die estnische Gesellschaft und damit auch an der Integration in Europa steigert.

Ebenso, diente diese Perspektive in der letzten Zeit als eine Basis zur Gestaltung der Beziehungen zu unserem Nachbarn Russland.

Die Zusammenarbeit mit Russland ist eine der Prioritäten der EU. Das gilt selbstverständlich auch für Estland. Estland wird sich nicht mit seinen Vergangenheitskomplexen hinter dem Rücken der EU verstecken, sondern reicht ohne zu zögern Russland die Hand, denn es fühlt die EU hinter sich.

Ich hatte vor Kurzem ein freundschaftliches Treffen mit dem Russischen Ministerpräsidenten, Herrn Viktor Tschernomyrdin. Wir haben uns gegenseitig den Wunsch bestätigt, eine Regierungskommission zu bilden. Als vordringliche Aufgabe dieser gemischten Kommission gilt die Festlegung unserer Zusammenarbeit. Estland geht bei der Zusammenarbeit von drei Prinzipienen aus, und obwohl sie als eine Selbstverständlichkeit angesehen werden können, möchte ich sie heute wiederholen:

Erstens: Die Zusammenarbeit muss auf gegenseitigem Nutzen beruhen.

Zweitens: Die Zusammenarbeit muss auf internationalem Recht beruhen.

Drittens: Die Zusammenarbeit muss auf langfristigen Perspektiven beruhen.

Das zu erreichen ist jedoch nicht so einfach, denn Misstrauen existiert sowohl in Estland wie in Russland. Ich bin jedoch zuversichtlich, dass wir den Schlamm der politischen Rethorik in ein klares Quellwasser filtrieren können, besonders wenn es für beide Seiten einen Erfolg verspricht. Ich bezweifle nicht, dass die Wirklichkeit Estlands bereits das schwere Erbe des Zweiten Weltkrieges gemeistert hat und weiterhin meistern wird - das Problem der russischen Minderheit. Estlands zukünftige Aufgabe in Europa und der Welt wird es sein, als vorbildlicher Garant der Menschen - und Bürgerrechte zu wirken.

Das is das Profil, an dem Estland in der Europäischen Union zu erkennen sein wird.

Denn estnische Politiker müssen es beherrschen, in Zeit und Raum zu denken. Erinnern wir uns - das hat man an der Ostsee schon immer gekonnt. Die historische Hanse hat Zeit und Raum organisiert. Und bis heute stellt die Hanse jene europäische Struktur dar, die sich am besten bewährte und am längsten bestand, in vieler Hinsicht ist sie der vergessene Vorgänger der Europäischen Union.

Da ich mich in historischen Überlegungen verloren habe, lassen sie mich am Ende noch über die Zukunft der Europäischen Union nachdenken.

Grundlage für diese Vision kann nur eine noch breiter angelegte Frage sein: Welches Europa wollen wir im nächsten Jahrhundert sehen? Das Beschreiben der technischen Wunder sollte den Science-Fiction-Schriftstellern überlassen werden; neue Herausforderungen, mit denen wir zurecht kommen müssen, zeichnen sich aber schon heute ab.

Die Industriegesellschaft ist im Begriff, sich zu einer Informationsgesellschaft zu wandeln, in der Umweltschutz und Umweltverträglichkeit zu Schlüsselbegriffen werden. In den Nationalstaaten, welche die Imperien ersetzt haben, erstarken die Regionen; die Lebensqualität verbessert sich, aber die Bevölkerung ist überaltert. Daraus resultieren institutionalisierte, wirtschaftliche und soziale Fragen, die Europa, ja die ganze Welt betreffen.

Wenn die früheren Erweiterungen der EU mehr eine innere Angelegenheit Europas waren, dann stellt die bevorstehende Erweiterung die erste dar, die auf globalem Hintergrund gesehen werden muss. Auch die heute zentrale Frage der EU - die Umstellung auf eine gemeinsame Währung, die auch ein Anliegen Estlands ist - orientiert sich vor allem an globalen Herausforderungen. Auf diesem Hintergrund werden Behauptungen, die Erweiterung sei zu teuer, sehr fragwürdig.

Es stimmt, über die Kosten der Erweiterung wird noch diskutiert. Auf der einen Seite scheint es möglich, auszurechnen, um wieviel das Bruttosozialprodukt in den Mitgliedstaaten steigen wird. Auf der anderen Seite herrscht keine Klarheit darüber, ob die Erweiterungskosten diesen Gewinn aufbrauchen oder ob davon etwas übrig bleiben wird. Die Erweiterungskosten, die Estland, Lettland und Litauen betreffen, scheinen von so minimaler Bedeutung zu sein, dass sie in der vor Kurzem veröffentlichen Untersuchung des Centre for Economic Policy Research in London nicht einmal ausgerechnet wurden. Über die Erweiterungskosten anderer Beitrittskandidaten besagt die Zusammenfassung dieses angesehenen Institutes, dass die Aufgabe einerseits unlösbar sei, andererseits es aber auf der Hand liege, dass die Ausgaben klein und der Nutzen gross sein werden.

Hat man den Erweiterungskosten bei den Debatten über die Erweiterung nicht eine unverhältnismässig grosse Bedeutung angemessen? Wir sind stets bereit dies emsig aufzurechen, wieviel mehr eine wie auch immer geartete Erweiterung uns - und vorerst natürlich die jetzigen EU Mitglieder - kosten würde. Allerdings müssten wir auch den Mut haben auszurechnen, was es uns allen kosten würde, falls die EU-Erweiterung sich auch nur verzögern würde.

Wenn wir noch einmal einen Blick zurück ins 20. Jahrhundert wenden - Europas erste Aufgabe ist es Frieden und Stabilität zu sichern. Das ganze Mitteleuropa, alle Beitrittskandidaten, brauchen zuallererst eine auf Dauer angelegte Stabilität, angelehnt an die soziale und wirtschaftliche Entwicklung - diese zwei Seiten dürfen nicht voneinander getrennt werden. In diesem Sinne kann die EU sich als das am besten geeignete Instrument für die Zukunft Europas erweisen.

Diese Rolle kann die EU jedoch nur ausfüllen wenn sie eine starke und gut funktionierende Organisation ist. In Amsterdam hat man sich ernsthaft mit den Beschlüssen befasst. Aber die Erweiterung verlangt nach weiteren Reformen. Und in dieser Hinsicht muss Klarheit herrschen noch vor der Aufnahme von neuen Mitgliedstaaten. Denn niemand ist mehr als diese Staaten an der Lösung der institutionalisierten Fragen interessiert. Wenn der Erweiterungsprozess mit allen Beitrittskandidaten endlich verwirklicht worden ist, wird sich Estland unter den Kleinsten finden. Haben doch alle Erweiterungen Staaten von kleinerer und mittlerer Grösse in die Union gebracht. Die EU handelt doch nicht nach dem Grundsatz Grosse gegen Kleine, sondern im Interesse aller. Koalitionen unterschiedlicher Interessen können sich um den Tisch des Europarates von einer Minute zur anderen entsprechend den Tagesordnungspunkten bilden - Estland hat ja keine Probleme mit dem acquis der Weinproduktion, sehr wohl aber mit den Transitfragen. Daher ist es von grösserer Bedeutung als die Stimmenzahl im Rat, Verbündete zu finden, um seine Interessen zu verfolgen (was nicht bedeutet, dass Estland für seinen Platz unter der Eurosonne nicht auch alleine zu kämpfen versteht).

Amsterdam hat nicht alle institutionalen Fragen gelöst, die Zeit war noch nicht reif. Uns doch wurde in Amsterdam ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung getan sobald (zusammen mit zuverlässigen Sicherheitsmassnahmen) die Möglichkeit der Flexibilität der Integration erkannt wurde. Flexibility kann sich zum Schlüsselwort einer erweiterten und noch vielfältigeren EU werden, so wie es vor Kurzem noch Subsidiarität war. Wir können nicht Schritt halten mit den Letzteren, aber wir können auch nicht auf ihre Kosten vorankommen.

Nach Ansicht Estlands hängt die zukünftige wirtschaftliche und politische Stärke der EU von der gemeinsamen Landwirtschaftspolitik wie auch vom Erfolg der Reformen der Strukturfonds ab. Wir verfolgen mit Aufmerksamkeit die vorschläge, die in diesen Bereichen gemacht werden.

Alle EU Mitgliedstaaten haben versichert, dass die EU etwas fundamentaleres darstellt als nur den freien Warenhandel oder eine gemeinsame Landwirtschaftspolitik. Vor allem die Erweiterung in die Staaten Mittel- und Osteuropas hilft, diese Tatsache besser in Erinnerung zu rufen.

Es scheint sehr wohl so, dass die bevorstehende EU-Erweiterung unmittelbar Österreich mehr als jeden anderen EU-Staat betrifft. Desto verständlicher ist, dass Österreich als baldiger EU-Vorsitzender heuer und noch mehr im Jahr 1998 vor grossen geschichtsbildenden Entscheidungen steht.

Estland wurde seitens Österreich am 26. August 1991 wieder anerkannt. Die diplomatischen Beziehungen zwischen den beiden Staaten wurden hergestellt am 8. Jänner 1992.

Über vierzig (40) österreichsche Unternehmen haben in Estland mehr als 110 Millionen Schilling investiert. Mehr als 150 österreichische Firmen pflegen Wirtschaftskontakte mit Unternehmen in Estland. Die erst vor kurzem intensivierte wirtschaftliche Zusammenarbeit beider Staaten ist im Anwachsen begriffen. Nicht ohne Bedeutung ist es für uns, dass ab 26. Oktober die österreichische Fluggesellschaft Lauda-Air drei Mal wöchentlich die estnische Hauptstadt Reval (Tallinn) mit einem Direktflug aus Wien anfliegen wird. Meine Damen und Herren, Sie wissen, dass am 31. Oktober in Reval (Tallinn) die österreichische Botschaft eröffnet wird, und in diesem Zusammenhang ein Besuch des Herrn Vizekanzlers und Bundesaussenministers Dr. Schüssel in Estland statt finden wird. So besteht kein Zweiffel, dass unsere bilateralen Beziehungen, unser Dialog auch in Sachen EU sich bestens weiter entwickeln wird.

Ich darf hiermit mein Wunsch zum Ausdruck bringen, dass Estland und Österreich weiterhin den Weg wohlausgewogener Entscheidungen in bester Zusammenarbeit beschreiten. Dazu haben wir die besten Voraussetzungen und Aussichten.

Wenn wir von diesen überwiegend politischen und wirtschaftlichen Tatsachen ausgehen, wäre es doch schade die menschliche Dimension nicht auch an dieser Stelle zu betonen. Aus diesem Anlass möchte ich gern die Worte des estnischen Schriftstellers und meines guten Freundes Jaan Kross zitieren, die er anlässlich des Festakts der Verleihung des Herder-Preises in der Aula gerade der Wiener Universität heuer am 6. Mai als Dank im Namen aller Preisträger ausgesprochen hat. Er sprach zwar über das 1778 erschienene Buch des Aufklärers Gottfried Herder ''Stimmen der Völker in Liedern''. Aber seine Botschaft lautete, so Jaan Kross in Wien:

''Also lasst uns unsere Stimmen in voller Verantwortung erheben. Sowohl im gemeinsamen Gesang des ästhetischen und philosophischen Europa-Chores, als auch im Aussprechen der politischen europäischen Wahrheit Europas.''

Meine sehr geehrte Damen und Herren, vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

 

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